ZFS Nr. 8/2024
Ein Beitrag1 von Landammann Dr. Markus Dieth, Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen und Regierungsrat Kanton Aargau2
1. Einleitung
In der Schweiz sind verschiedene Staatsaufgaben zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden aufgeteilt. Zudem sind die Kantone untereinander immer stärker miteinander vernetzt, staatliche Aufgaben lassen sich immer weniger isoliert im eigenen Kanton erbringen, sondern müssen auf Entwick-lungen in den Nachbarkantonen und der gesamten Schweiz abgestimmt und koordiniert sein.
Der vorliegende Beitrag beleuchtet anhand von drei Thesen die Interkantonale Zusammenarbeit und setzt damit drei Schwerpunkte. Erstens schafft er einen kurzen Überblick über die Grundla-gen und die Bedeutung der interkantonalen Zusammenarbeit, erläutert zweitens Perspektiven, Herausforderungen und Entwicklungstrends und geht drittens auf den kooperativen Föderalismus ein, eine besondere Form der innerstaatlichen und auch interkantonalen Zusammenarbeit. Eine vierte These befasst sich mit dem Ver-trauen als wichtigste Währung einer erfolgreichen Staatsleitung.
2. These 1: "Nur eine Staatsleitung mit Kenntnissen und Einfluss in der interkantonalen Zusammenarbeit ist eine starke Staatsleitung"
Die interkantonale Zusammenarbeit hat ihre Grundlagen in der Schweizeri-schen Bundesverfassung.3 Art. 44 hält fest: "Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen." Damit ist die Notwendigkeit der interkantonalen Zusammenarbeit sowie eine gegenseitige Unterstützungspflicht festgelegt, beides stellen wichtige Grundlagen dar, warum es eine interkantonale Zusammenarbeit gibt und es diese sogar geben muss. In Art. 48 werden konkrete Möglichkeiten der interkantonalen Zusammenarbeit geschaffen. Insbesondere wird den Kantonen das Recht eingeräumt, miteinander Verträge zu schliessen. Dabei kann der Bund ein-bezogen werden, muss aber nicht. Und es besteht sogar die Möglichkeit, Organe zu schaffen, die zum Erlass rechtsetzender Bestimmungen ermäch-tigt werden können.
Zusätzlich zu den direkten Grundlagen für eine interkantonalen Zusam-menarbeit wird in der Bundesverfassung auch ein Mitwirkungsrecht der Kantone an der Willensbildung des Bundes generell (Art. 45 BV) und namentlich an aussenpolitischen Entscheiden (Art. 55 BV), welche gemäss Art. 54 BV grundsätzlich alleinige Sache des Bundes sind. Der Bund ist damit verpflichtet, die Kantone einzubeziehen und ihre Interessen zu wahren. Eine solche Mitwirkung ist aus Sicht der Kantone dann effizient und besonders wirkungsvoll, wenn es gelingt, möglichst mit einer Stimme zu sprechen. Die Kantone haben demnach ein Interesse an einer interkantonalen Zusammenarbeit, welche eine Koordination der Interessen fördert. Damit sind indirekt auch die Grundlagen für die Konferenz der Kantonsre-gierungen (KdK) sowie die verschiedenen Fachdirektorenkonferenzen bereits in der Bundesverfassung angelegt – sie verfolgen nämlich unter anderem das Ziel, die Zusammenarbeit der Kantone zu fördern und in kantonsrelevanten Angelegenheiten des Bundes die erforderliche Koordination und Information der Kantone sicherzustellen. 45
Analoge Regelungen wie in der Bundesverfassung finden sich darüber hinaus in den Kantonsverfassungen. Beispielhaft dafür die Kantonsverfas-sung des Kantons Aargau, welche in Art. 89 KV dem Regierungsrat – also der Staatsleitung – das Recht und die Pflicht zuspricht, den Kanton gegen aussen zu vertreten und die Beziehungen mit den Behörden des Bundes und anderer Kantone zu pflegen. 6
Die Kantonsregierungen setzen diesen Auftrag heute durch die Zusam-menarbeit in 14 nationalen Fachdirektorenkonferenzen, der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), in sechs regionalen Regierungskonferenzen und in einer Vielzahl an regionalen Fachdirektorenkonferenzen, durch Konkordate, interkantonale Verträge und Vereinbarungen und auch in internationalen Gremien um. Die nachfolgende Abbildung zeigt die wichtigsten Gremien der interkantonalen Zusammenarbeit auf.
Die verschiedenen Direktorenkonferenzen unterscheiden sich hinsichtlich der Bedeutung, der Rolle im föderalen System, der Ausstattung des Sekre-tariats sowie auch des Alters deutlich. Die älteste Direktorenkonferenz ist die 1897/98 gegründete Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Später, vor allem nach dem zweiten Weltkrieg, kamen weitere Konferenzen dazu.7 Erst 1993 wurde die Konferenz der Kantonsregierungen gegründet. Dabei waren die vorgenannten Verfassungsgrundlagen einer-seits eine wichtige Voraussetzung für die Gründung, andererseits eine Folge der Arbeit der Konferenz der Kantonsregierungen. Dies weil die Kantone nach dem Nein des Stimmvolks zum EWR und den darauffolgenden Arbeiten an den Bilateralen Verträgen, realisierten, dass die Gefahr besteht, dass die Interessen der Kantone ungenügend berücksichtig werden, wenn sie sich nicht besser koordinieren. Erfolgreiche Interessenvertretung ist dann möglich, wenn man gut zusammenarbeitet, sich koordiniert und möglichst mit einer Stimme spricht. Zudem fehlte ein Gremium, das die Kantonsregierungen als Ganzes (nicht nur die zuständigen Fachdirektoren) zusammenbringt, dessen Entscheide auf Beschlüssen der jeweiligen Gesamtregierungen beruht und somit auch eine hohe Legitimation hat, um im Namen der Kantone zu sprechen.
Aufgrund dieser Ausführungen und der oben aufgezeigten Vielzahl an in-terkantonalen Gremien wird klar, dass jedes Regierungsmitglied oft in mehreren solcher Gremien vertreten ist und in seiner täglichen Arbeit von solchen Vereinbarungen beeinflusst wird. Viele politische Entscheidungen werden sogar auf dieser Ebene gefällt und beeinflussen und gestalten anschliessend die Gesetze, Regularien und Möglichkeiten in den Kantonen sehr direkt. Damit wird klar, dass sich die Staatsleitung auf Ebene Bund und Kantone zwingend mit der interkantonalen Zusammenarbeit auseinandersetzen muss.
Diese Erkenntnisse untermauern die erste These. Eine Staatsleitung, die sich in der interkantonalen Zusammenarbeit auskennt und Einfluss nimmt, stärkt ihre Position und verhindert Überraschungen, weil sie immer auch einen gewissen Informationsvorsprung über die interkantonalen Entwicklungen verfügt.
3. These 2: "Die Interkantonale Zusammenarbeit wird an Bedeutung zunehmen. Voraus-schauende interkantonale Zusammenarbeit verhin-dert Zentralisierung und stärkt den Föderalismus. Sie wird mehr und mehr zum Kitt, der die Schweiz zusammenhält."
Die Ausführungen zur ersten These haben gezeigt, dass es eine Vielzahl von interkantonaler Zusammenarbeit gibt und dass diese den Alltag und die Rahmenbedingungen der Staatsleitung, sowohl auf kantonaler wie auch auf Bundesebene, bereits heute stark beeinflusst. Diese interkantonale Zusammenarbeit nimmt aus Sicht der Staatsleitung drei besonders wichtige Funktionen wahr.
3.1. Die Koordinationsfunktion
Die interkantonale und interregionale Zusammenarbeit wurde und wird immer wichtiger. National erfüllen die Direktorenkonferenzen und die KdK diese Funktion, regional die Regionalkonferenzen. Die Bedeutung der Koordination nimmt vor allem darum zu, weil die Lebensrealitäten der Bevölkerung immer weniger mit politischen (Kantons- und Gemeinde-)Grenzen übereinstimmen. Immer mehr Menschen leben und arbeiten in verschiede-nen Kantonen, die interkantonale Mobilität nimmt generell zu. Gleichzeitig nimmt die Tendenz zu, immer mehr Politikbereiche national zu regeln, auch wenn sie eigentlich in der Kompetenz der Kantone liegen. Die Kantone sind daher besonders gefordert, sich rechtzeitig selbst gut zu koordinieren. Denn nur wenn die Kantone sich selbst organisieren, gut koordinieren und selber handeln, können sie verhindern, dass der Bund, bzw. das Bundesparlament vermehrt in Aufgaben- und Verantwortlichkeitsbereichen der Kantone aktiv wird.
3.2. Die Kooperationsfunktion
Aus der wachsenden Bedeutung der Koordinationsfunktion lässt sich direkt die zweite wichtige Funktion, die Kooperationsfunktion, ableiten. Durch die verschiedenen Fachdirektorenkonferenzen und die KdK wird nicht nur die Koordination, sondern auch die effektive Zusammenarbeit (Kooperation) in verschiedenen Bereichen gefördert. Die naheliegendste und niederschwelligste Art der Kooperation ist die Erarbeitung einer gemeinsamen Haltung zu aktuellen Geschäften. Sie kann aber je nach Betroffenheit und Bedarf der Kantone auch deutlich weiter gehen und von der Erarbeitung von Hilfestellungen oder Mustervorschläge für die Umsetzung von Bundesrecht bis hin zur Schaffung von Konkordaten oder anderen Zusammenarbeitsformen reichen. Gleichzeitig kann durch die Koordination und die Kooperation ein Austausch stattfinden. Es werden Erfahrungen ausgetauscht und erfolgreiche Lösungen allenfalls von anderen Kantonen übernommen oder über die interkantonale Kooperation gar standardisiert. Damit stärkt die interkantonale Zusammenarbeit den Föderalismus.
3.3. Die "Lobbyingfunktion" (Interessenvertretung)
Die erwähnte Tendenz, dass in vielen Bereichen eine schleichende Tendenz zur Zentralisierung herrscht, beziehungsweise zunehmend in verschiedenen Bereichen auf Bundesebene mehr Vorgaben und Regulierun-gen erlassen werden, welche in der Kompetenz der Kantone liegen oder deren Umsetzung anschliessend den Kantonen überlassen wird, machte den Kantonen deutlich, dass sie ihre Interessen vermehrt auch gegenüber dem Bund einbringen müssen. Dabei hat ein gemeinsames Auftreten der Kantone gegenüber Bundesrat, Verwaltung und Parlament eine nicht zu unterschätzende Wirkung; dies, gerade weil die Kantone verschiedene Einflussmöglichkeiten haben. Einerseits sehen sich die Ständerätinnen und Ständeräte, obwohl sie vom Volk und nicht von den Kantonsregierungen gewählt werden, vor allem als Standesvertreter. Sie stehen vielfach in regelmässigem Austausch mit den Kantonsregierungen und stellen Kantonsinteressen oft auch über die Parteiinteressen. Zudem verfügen die Kantons-regierungen bei Verwaltung und Parlament über eine hohe Glaubwürdigkeit, dies insbesondere, weil eine gemeinsame kantonale Haltung immer auch in verschiedenen, parteiübergreifend zusammengesetzten Gremien konsolidiert wurde und damit breit abgestützt ist. Zu guter Letzt verfügen die Kantone mit dem Instrument des Kantonsreferendums gemäss Art. 141 BV über ein wirkungsvolles Instrument, um vom Parlament beschlossene Bundesgesetze zu bekämpfen, falls sie zum Schluss kommen, dass ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. 8
Die vorliegende These 2 impliziert, dass die interkantonale Zusammenar-beit wichtiger wird und ihre vorgehend erwähnten Entwicklungen an Bedeutung gewinnen werden. Obwohl es die interkantonale Zusammenarbeit schon seit langem gibt, haben vor allem verschiedene Entwicklungen in den letzten Jahren dazu geführt, dass die interkantonale Arbeit für die Staatsleitung an Bedeutung gewonnen hat. Namentlich gesellschaftliche Entwicklungen, insbesondere die zunehmende Mobilität der Menschen, die fortschreitende Verflechtung der Wirtschaft oder auch die Tatsache, dass die durchschnittliche Distanz zwischen Arbeits- und Wohnort zugenommen haben,9 führen dazu, dass Kantonsgrenzen immer weniger die Lebensrealität der Menschen und der Unternehmen abbilden.
Damit machen auch politische Herausforderungen immer weniger an Kantonsgrenzen halt. Corona hat das exemplarisch gezeigt, aber bereits vorher waren die Zeichen deutlich: In der Raumplanung, dem Gesundheitswesen, den (Hoch-)Schulen usw. braucht es eine zunehmende interkantonale Ab-stimmung und Zusammenarbeit. Darüber hinaus gibt es aber auch profane Gründe, warum die interkantonale Zusammenarbeit wichtiger wird: Die Erfüllung der staatlichen Aufgaben wird in der Tendenz komplexer und komplizierter, und vor allem werden es immer mehr Regulierungen und Vor-schriften, gerade auch auf internationaler Ebene und auf Stufe Bund, welche den Kantonen Rahmenbedingungen setzen und vorgeben. Diese Entwicklung kann man befürworten oder bedauern, sie führt aber jedenfalls dazu, dass die Kantone bei der alleinigen Erbringung dieser vielen übertragenen Aufgaben vermehrt an ihre Grenzen stossen oder in bestimmten Bereichen ein Alleingang schlicht nicht mehr sinnvoll ist.
Beispiele dafür sind die Digitalisierung, der Umgang mit Künstlicher Intelligenz oder künftig wohl auch vermehrt Entwicklungen im Gesundheitswe-sen. In solchen und weiteren Bereichen wird früher oder später der Druck auf eine Vereinheitlichung, ein Wegkommen von 26 Alleingängen, zunehmen. Die Kantone und ihre Regierungen tun gut daran, dass sie solche Entwicklungen antizipieren und sich frühzeitig selbst überlegen, wie sie mit solchen Herausforderungen umgehen möchten, was für sie eine attraktive Lösung darstellt und ob und falls ja, wie sich diese mit interkantonaler Zusammenarbeit lösen lässt. Tun sie das nämlich nicht, dann wird früher oder später das Bundesparlament oder der Bundesrat und die Bundesverwal-tung aktiv und es werden einheitliche, zentrale Lösungen gefordert und geplant. Das ist und kann nicht im Interesse der Kantone sein. Mit zu viel Zentralisierung verlieren die Kantone nicht nur an Bedeutung, sondern es geht auch die Bürgernähe verloren. Das gesamte föderalistische Staatsgefüge würde damit langfristig geschwächt und in Frage gestellt.
Mit vorausschauendem Handeln, mit vorausschauender interkantonaler Zusammenarbeit, um die anstehenden Probleme und Herausforderungen rechtzeitig unter den Kantonen in Eigenverantwortung zu lösen, tragen die Kantone folglich zu einer Stärkung des Föderalismus und damit zu einer Stärkung des Zusammenhalts der Schweiz bei.
4. These 3: Kooperativer Föderalismus muss vor allem ein horizon-taler, kooperativer Föderalismus sein. Zu viel von vertikalem kooperativem Föderalismus ist mehr Fluch als Segen und schwächt die Schweiz.
In jüngster Zeit wird vermehrt der kooperative Föderalismus als eine zu-kunftsweisende Form der föderalistischen Zusammenarbeit postuliert. Die Definitionen dazu gehen auseinander, eine klassische allgemeine Definition besagt jedoch, "der Begriff des kooperativen Föderalismus bezeichnet alle Formen der Zusammenarbeit unter den Gliedstaaten oder zwischen den Gliedstaaten und Bund, wobei diese Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis erfolgen oder durch eine Norm des Bundesrechts vorgesehen werden kann."10 Der Autor hat den "Kooperativen Föderalismus" in einer Rede auch schon als "Hängematten-Föderalismus" bezeichnet, weil oft auch Bequemlichkeit für vielleicht etwas mühsame politische Prozesse für kantonale Regelungen Triebfeder für kantonale Bittstellungen beim Bund für eigentlich kantonale Aufgaben darstellen. Seit der Gründung der Schweiz sind immer mehr Kompetenzen zum Bund gewandert. Teilweise ist das sinnvoll, denn wir sind heute mit vielen Herausforderungen konfrontiert, die nicht vor Kantons- oder auch Landesgrenzen Halt machen und nach einer einheitlichen Lösung verlangen, etwa bei der Digitalisierung.
Schaut man jedoch genauer hin, dann findet sich der Grund der Zentralisierung oftmals ganz einfach in der Bequemlichkeit. Es ist erstens bequemer einmal auf Bundesebene für ein Anliegen zu kämpfen als 26-mal in allen Kantonen. Zweitens werden heute die Kompetenzen immer häufiger zwischen Bund und Kantonen geteilt. Während diese "geteilten Kompetenzen" in wenigen Bereichen Sinn machen, so sind sie in den meisten Bereichen überhaupt nicht zielführend. Denn geteilte Kompetenzen führen dazu, dass zu viel Zeit und Energie in Diskussionen über das "Wer" statt das "Wie" fliessen. Wer bezahlt? Wer reguliert was? Wer bestimmt und nicht zuletzt auch wer kommuniziert. Das Verantwortlichkeitsgefühl in den Kantonen nimmt ab. Und so erstaunt es drittens nicht, dass die Kantone, statt eigen-ständig und eigenverantwortlich zu handeln, vermehrt beim Bund um Unterstützung anfragen. Und so wandern ganz im Stillen auch immer mehr Kompetenzen an den Bund – denn wer bezahlt, befiehlt und reguliert. An-statt Probleme eigenverantwortlich zu lösen, wird vorschnell, bequem und kurzsichtig Unterstützung beim Bund gesucht. Der lebendige "kompetitive Föderalismus" wird so schleichend durch einen "kooperativen Föderalismus" ersetzt – einen "Hängematten-Föderalismus".
Trotzdem ist die föderalistische Zusammenarbeit sinnvoll. Diese soll aber freiwillig bleiben und vor allem zwischen den Kantonen stattfinden. Es gilt der Grundsatz "Verantwortung ist unteilbar". Dieser soll auch in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen gelten. Kantone und Bund sollten ihre Verantwortung im Rahmen ihrer Zuständigkeitsbereiche möglichst eigenverantwortlich wahrnehmen. Wo sinnvoll, sollen Kantone horizontal, also untereinander, zusammenarbeiten. Die vertikale Zusammenarbeit mit dem Bund soll sich auf eine gute institutionelle Zusammenarbeit beschränken, starke Aufgaben- und Finanzierungsverflechtungen, wie das der kooperative Föderalismus zwangsläufig mit sich bringt, sind möglichst zu vermeiden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass aufgrund von fehlender Verantwortung der Fokus verloren geht und die Gefahr sich zu verzetteln nimmt zu. Zu viel von kooperativem Föderalismus auf vertikaler Ebene schwächt die Kantone, und schwache Kantone schwächen die Schweiz.
5. These 4: Vertrauen als wichtigste Währung der Staatsleitung
In einer immer komplexeren Welt wird das Vertrauen zwischen Bevölkerung und Politik immer wichtiger. Dank unserem direktdemokratischen System und dem Referendumsrecht, kann und wird die Bevölkerung jede Regelung, die nicht nachvollziehbar ist, die nicht glaubwürdig und überzeugend klingt und erklärt werden kann, in einer Volksabstimmung herausfordern und, wie wir verschiedentlich gesehen haben,11 durchaus auch gegen die Empfehlung von Bundesrat und Parlament ablehnen. Eine vordringliche Aufgabe der Staatsleitung ist also, das Vertrauen der Bevölkerung in ihr Tun und in die Politik generell zu stärken. Dafür sind vier Grundsätze besonders wichtig:
5.1. Transparenz
Jegliches staatliche Handeln, alle politischen Entscheide, müssen möglichst transparent sein. Transparenz schafft Nachvollziehbarkeit und stärkt auch die Glaubwürdigkeit, weil alles offen auf dem Tisch liegt. Transparenz stärkt das politische Verständnis der Bevölkerung, weil Transparenz auch dafür sorgt, dass Abwägungen zwischen verschiedenen Optionen, dass politische Kompromisse, die man eingehen muss, um Mehrheiten zu schaffen, ebenfalls nachvollziehbar werden. Insgesamt kann die Bevölkerung durch Transparenz nachvollziehen, wie und warum ein Entscheid zustande gekommen ist und welche Argumente wie stark gewichtet wurden.
5.2. Offener und partizipativer Austausch mit Bevölkerung Wirtschaft
Die Staatsleitung muss nahbar und ansprechbar sein. Sie darf sich nicht im "Elfenbeinturm" verstecken. Sie muss zu den Leuten, zuhören, Anliegen ernst nehmen, aber auch ihr eigenes Han-deln erklären und ihre Ideen und Entscheide erläutern. Denn dieser offene, transparente Austausch, verbunden mit dem Wissen von Wirtschaft und Bevölkerung, dass die eigenen Anliegen jederzeit direkt eingebracht werden können und dass diese gehört werden, schafft Vertrauen.
5.3. Klare Kommunikation
Die Staatsleitung muss viel Energie in die Kommunikation stecken. Sie muss in der Lage sein, auch komplexe und schwierige Entscheide klar, nachvollziehbar und überzeugend zu kommunizieren. Dabei dürfen auch Nachteile eines Entscheids nicht einfach unter den Tisch gewischt werden. Auch die Öffentlichkeit soll transparent nachvollziehen können, warum beispielsweise gewisse Nachteile für einzelne Bevölkerungs- oder Wirtschaftsgruppen in Kauf genommen werden, um aus der übergeordneten Sicht ein Resultat zu erreichen, dass die Gesamtsituation ver-bessert. Diese klare, ehrliche Kommunikation schafft Vertrauen.
5.4. Verfassungstreue: Leiten lassen von Verfassung
Die Verfassung widerspiegelt die Überzeugungen des Volkes am besten. Jede Verfassungsänderung muss von Volk und Ständen akzeptiert werden. Jeder einzelne Verfassungsartikel wurde einmal von Volk und Ständen angenommen. In der Schweiz ist es auf Bundesebene möglich, Bundesgesetze zu erlassen, welche die Verfassung nicht respektieren. Die Staatsleitung und das Parlament sollten sich jedoch bewusst sein, dass der Erlass von solchen Gesetzen dazu führt, dass sich die Bevölkerung nicht mehr ernst genommen fühlt und so das Vertrauen in die Staatsleitung abnimmt. Die Verfassung als klarer Leitfaden für das politische Handeln stärkt das Vertrauen.
6. Fazit
Die vier Thesen zeigen, dass Kenntnisse über die interkantonale Zusammenarbeit für die Staatsleitung ein wichtiges Erfolgsrezept sind. Die langfristigen Trends und gesellschaftlichen Entwicklungen werden dazu führen, dass die interkantonale Zusammenarbeit weiter an Bedeutung ge-winnt. Dabei ist darauf zu achten, dass trotz der Notwendigkeit für verstärkte innerstaatliche Zusammenarbeit die Kompetenz- und Aufgabenteilung zwischen den Staatsebenen gewahrt bleiben und die Verantwortlichkeiten klar zugeordnet sind. Damit wird das Verantwortungsgefühl gestärkt. Gleichzeitig sind Regierungs- und Exekutivmitglieder gefordert, alles daran zu setzen, damit das Vertrauen zwischen Politik und Bevölkerung gestärkt wird. Denn nur wenn dieses Vertrauen intakt und stark ist, kann ein Staat langfristig erfolgreich geführt werden und stabil bleiben.
Hinweis: Zur Zitierfähigkeit wird auf dieses Dokument verwiesen ZFS_Nr8_Dieth (PDF, 571 KB)
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1 Dieser Beitrag basiert auf einer Gastvorlesung, die der Autor am 2. Oktober 2024 im Rahmen des Moduls "Staatsleitung" von Dr. Christian Rathgeb an der Universität Zürich gehalten hat.
2 Dr. Markus Dieth ist seit dem 1. Januar 2017 Regierungsrat des Kantons Aargau und Vorsteher des Departements Finanzen und Ressourcen. Markus Dieth ist promovierter Jurist mit rechtswissenschaftlicher Ausbildung mit Doktorat der Universität Zürich. Er erlangte 1996 das Anwaltspatent des Kantons Aargau. 2009 bis 2016 war er Mitglied des Grossen Rats des Kantons Aargau, 2015 amtierte er als Grossratspräsident. Von 2008 bis 2016 war er Gemeindepräsident von Wettingen. Zuvor war er Partner in der Anwalts-kanzlei Stutz Wunderlin Stutz Dieth. Im Jahr 2024 war Markus Dieth zum zweiten Mal Landammann (Regierungspräsident). Er vertritt die Interessen des Kantons Aargau in verschiedenen interkantonalen Gremien wie zum Beispiel in der Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FdK) oder in der Konferenz der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren (LdK). Seit 2023 präsidiert Markus Dieth die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) und vertritt in dieser Funktion die Interessen der Kantone auf Bundesebene. Er wurde 1967 geboren und lebt in Wettingen (AG).
3 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (Stand 3. März 2024). Abgerufen am 27. November 2024 unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de.
4 Beispielhaft in Vereinbarung der Konferenz der Kantonsregierungen, ähnlich in Stauten und Vereinbarungen der verschiedenen Fachdirektorenkonferenzen.
5 Konferenz der Kantonsregierungen. Vereinbarung über die Konferenz der Kantonsre-gierungen vom 8. Oktober 1993 (Stand 24. März 2006). Abgerufen am 27. November 2024 unter https://kdk.ch/fileadmin/redaktion/uber_uns/zweck_und_organisation/1_vereinbarung_kdk_2006.pdf.
6 Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 (Stand 30. Juni 2024). Abgerufen am 27. November 2024 unter https://gesetzessammlungen.ag.ch/app/de/texts_of_law/110.000.
7 Verein Schweizerischer Archivarinnen und Archivare (2010). Überblick über Direktoren-konferenzen und Betreuerarchive.
8 Das Kantonsreferendum wurde 1874 eingeführt und seither erst einmal ergriffen. Im Jahr 2003 ergriffen elf Kantone gegen das "Bundesgesetz über die Änderung von Erlassen im Bereich der Ehe- und Familienbesteuerung, der Wohneigentumsbesteuerung und der Stempelabgaben" das Referendum, da sie massive Steuereinbussen befürchte-ten. Das Referendum wurde in der Folge von den Kantonen gewonnen und die Geset-zesänderungen abgelehnt.
9 Bundesamt für Statistik. Pendlermobilität. Abgerufen am 27.November 2024 unter https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet-verkehr/personenverkehr/pendlermobilitaet.html.
10 Ulrich Häfelin, Walter Haller, Helen Keller, Daniela Thurnherr (2024). Schweizerisches Bundesstaatsrecht. 11. Auflage.
11 Zuletzt am 24. November 2024 mit der Ablehnung des Bundesbeschluss über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen.