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Rechtswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl Loacker

IPR/IZVR: Missbräuchlichkeit einer Rechtswahlklausel bei Beförderungsverträgen

Hintergrund
Am 31. Oktober 2018 ist das Amtsgericht Nürnberg mit Gesuch um Vorabentscheidung in der Rechtssache C-1084/18 an den Europäischen Gerichtshof getreten. Der EuGH hat in der noch anstehenden Entscheidung zu klären, ob eine in den AGB von Laudamotion (Tochtergesellschaft der Ryanair) enthaltene Rechtwahlklausel nach Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie (Richtlinie 93/13/EWG) i.V.m. Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 der Rom I-Verordnung missbräuchlich ist. Der Wortlaut der verwendeten Klausel lautete wie folgt: „Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen Ihr Beförderungsvertrag, diese Beförderungsbestimmungen und unsere Regelungen dem Irischen Recht“. Mithilfe von Rechtsprechungs- und Lehrmeinungstendenzen wird nachfolgend versucht, den vorliegenden Sachverhalt zu beleuchten und unter der Vielzahl von europäischen und nationalen Bestimmungen die einschlägigen Rechtsgrundlagen ausfindig zu machen.

Der EuGH hat in den verbundenen Rechtssachen C-240/98 bis C-244/98 zunächst die Kontrollfähigkeit von Prorogationsvereinbarungen festgestellt. Vorgaben betreffend die Zulässigkeit von Gerichtsstandklauseln finden sich sowohl in der europäischen Klausel-Richtlinie bzw. in der Verordnung Nr. 44/2001 (Brüssel I) als auch im nationalen Recht. Obschon bezüglich der Anwendung dieser Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht vollumfängliche Meinungskongruenz herrscht (OLG Wien 129 R 37/19p; a.A. LG Korneuburg 5.2.2019, 2 Cg 70/18x), lässt sich eine gewisse Tendenz feststellen, die für Laudamotion wohl folgendes bedeuten wird: Die in den AGB verwendete Gerichtsstandsklausel mit dem Wortlaut „[…] Alle Streitigkeiten […] unterliegen der Zuständigkeit irischer Gerichte“ wird sowohl aus europäischer Sicht (Art. 3 Abs. 2 Klausel-Richtlinie – Art. 18 f. sind auf Beförderungsverträge nicht anwendbar) als auch aus nationaler Sicht (vgl. z.B. dazu das Urteil AG Bremen 9 C 337/13, Rn 38) eher als unzulässig zu qualifizieren sein, da sie dem Gebot der Bestimmtheit nicht standhält und ihr deshalb missbräuchlicher Charakter zukommt. Eine derart beschaffene Klausel wird daher regelmässig nicht rechtswirksamer Bestandteil des Vertrages – folglich werden beispielsweise die in Art. 2 bzw. 5 ff. Brüssel I vorgesehenen Gerichtsstände nicht derogiert.

Gleichzeitig muss für das Kollisionsrecht im engeren Sinn festgehalten werden, dass es Luftfahrtunternehmen in Fällen der Flugbeförderung grundsätzlich unbenommen ist, mit Verbrauchern Rechtswahlvereinbarungen zu treffen (Art. 5 UAbs.2, Art. 6 Abs. 4b i.V.m Art. 3 Satz 1 Rom I-Verordnung). Zu berücksichtigen ist zudem, dass für die Form von Verträgen, die in den Anwendungsbereich von Art. 6 Rom-I-Verordnung (Verbraucherverträge) fallen, das Recht des Staates maßgeblich ist, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Loacker, Art. 11 Rom I-VO, in Calliess (Hrsg.), Rome Regulations Commentary, 2. Auflage, Rn 73). Gemäss dem Amtsgericht Bremen (9 C 337/1, Rn 25) betrifft Art. 11 Abs. 4 Rom I-Verordnung nicht nur Verträge, für die nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts eine spezifische Formvorschrift statuiert ist (z.B. notarielle Beurkundung). Vielmehr werden davon auch Formularverträge erfasst, die infolge des Einbezugs von AGB zustande kommen. Mittels nationaler Rechtsgrundlagen wird der Schutz der Konsumenten sodann zusätzlich gewährleistet – im deutschen Recht konkretisieren zum Beispiel insbesondere §§ 305 ff. BGB die Rechtslage bei Einbezug von AGB.

Der EuGH hat am 28. Juli 2016 in der Rechtssache C-191/15 (Amazon) auch die Kontrollfähigkeit von Rechtswahlklauseln bestätigt und festgehalten, dass eine Rechtswahlklausel den Mindestvorgaben von Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie genügen muss. Konkret bedeutet dies, dass die Klausel dem Transparenzgebot zu entsprechen hat. Dabei ist – so der Gerichtshof – nach den Umständen des Einzelfalls zu eruieren, ob es sich bei der betreffenden Klausel um eine missbräuchliche Formulierung handelt. Gemäss dem EuGH sollte der Verbraucher ferner über bindende Rechtsvorschriften, welche die Bedeutung einer Rechtswahlklausel in den AGB relativieren, unterrichtet werden. Dabei wies der Gerichthof unter anderem auf Art. 6 Abs. 2 Rom I-Verordnung hin. Der Verbraucher sei darauf aufmerksam zu machen, dass zwar ein ausländisches Recht berufen wurde, aber ihm ein bestimmter Schutz aufgrund des zwingenden Aufenthaltsrechts nicht entzogen werden darf. Ausserdem sei eine Rechtswahlklausel gemäss Art. 3 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie dann missbräuchlich, wenn sie für den Verbraucher irreführend ist. Dies sei der Fall, wenn die Formularabrede den Anschein erweckt, auf den konkreten Vertrag sei nur das (berufene) Recht dieses Mitgliedstaats anwendbar.

Nicht zu vernachlässigen ist hierbei die Tatsache, dass das kollisionsrechtliche Schutzsystem, welches für das Vorabentscheidungsersuchen des Amtsgerichts Nürnberg entscheidend sein wird, nicht mit jenem im Urteil C-191/15 übereinstimmt. Während dem AGB-Verwender bei unspezifischen Verbraucherverträgen bei der Berufung einer Rechtsordnung grundsätzlich Wahlfreiheit zukommt (vgl. dazu Art. 6 Abs. 2 Rom I-Verordnung i.V.m. Art. 3 Rom I-Verordnung), wird seine Wahl bei Personenbeförderungsverträgen durch Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 Rom I-Verordnung eingeschränkt. Bis das Urteil im Fall von Laudamotion vorliegt, sollte deshalb von einem Analogieschluss zu C-191/15 abgesehen werden – insbesondere zumal der Gerichtshof in dieser Entscheidung erwähnte, dass die Einstufung einzelfallabhängig sei. Die hinreichende Bestimmtheit der fraglichen Rechtswahlklausel im Sinne von Art. 3 der Klausel-Richtlinie wird durch die bereits ergangene deutsche Rechtsprechung dennoch berechtigt in Frage gestellt. In der Lehre erachtet beispielsweise Staudinger die betreffende Formulierung als „intransparent“, da sie einem juristischen Laien keine Gewissheit darüber verschaffe, welche Gesetze welchen Staates damit gemeint sind (Staudinger, jM 2019, 134, 136).

Fazit
Allgemein lässt sich festhalten, dass gegenüber Verbrauchern verwendete Gerichtsstands- und Rechtswahlklauseln eines Luftfahrtunternehmens grundsätzlich Rechtswirkung entfalten können, sofern das zuständige Gericht oder anwendbare Recht – das jeweils vom jenem am Aufenthaltsort des Verbrauchers abweicht – hinreichend deutlich und bestimmt im Beförderungsvertrag statuiert wird. Die Rechtswahl hat gemäss Art. 3 Abs. 1 Rom-I-Verordnung entweder ausdrücklich zu erfolgen oder sich unzweideutig aus den Bestimmungen oder Begebenheiten des Einzelfalls zu ergeben. Aus Art. 5 f. Rom I-Verordnung ergeben sich sodann spezifische Einschränkungen.

Nach der Ansicht von Heiss sind Prorogationsvereinbarungen nach dem LugÜ oder IPRG in der Schweiz analog zum europäischen Recht (vgl. Art. 3 der Klausel-Richtlinie) nach Art. 8 UWG kontrollfähig, sofern sie in den AGB formuliert sind und einen Konsumentenvertrag betreffen – und dies des Art. 15 ff. LugÜ, Art. 114 bzw. Art. 5 Abs. 2 IPRG gewährleisteten Verbraucherschutzes.

Unter Berücksichtigung der zum schweizerischen Art. 8 UWG bestehenden Ähnlichkeit erscheint es angemessen, der europäischen Rechtsprechung in der Schweiz – auch hinsichtlich der Rechtswahlvereinbarungen – entsprechend Rechnung zu tragen. Wie bereits erwähnt, hat der EuGH in der Rechtssache C-191/15 die getroffene Rechtswahl wegen eines Verstosses gegen das Transparenzgebot als missbräuchlich beurteilt (siehe auch Heiss, Art. 8 UWG, in Heizmann/Loacker (Hrsg.), Kommentar BG UWG, Rn 284) – das Bejahen der Missbräuchlichkeit der von Laudamotion verwendeten Rechtswahlklausel erscheint deshalb durchaus wahrscheinlich zu sein.

Michele Volpe

 

Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.

 

 

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