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Rechtswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl Loacker

Haftpflichtrecht: Ein Kind als Schaden?

Hintergrund

Europaweit gehen die Stimmen aus Rechtsprechung und Lehre bezüglich der im Titel genannten Frage erheblich auseinander. Bei der Diskussion geht es allerdings offensichtlich nicht um das Kind an sich, sondern um die durch das Kind planwidrig verursachten Kosten.

In Österreich setzt der OGH in seiner Leitentscheidung vom November 2023, 3 Ob 9/23d neu eine Leitlinie fest: Es soll nunmehr Schadenersatz bei Wrongful Conception (auch als Wrongful Pregnancy bezeichnet) geben. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen eine Frau durch Sorgfaltspflichtverletzung des Arztes, also einen Behandlungs- oder einen Aufklärungsfehler, ungewollt schwanger wird. Denkbar sind sowohl Konstellationen, in denen sie gar kein Kind wollte, also beispielsweise eine fehlerhafte Eileiterunterbindung, die zu einer Schwangerschaft führt, oder aber eine künstliche Befruchtung, bei der sorgfaltswidrigerweise mehrere Embryonen eingesetzt werden.

Durch das nunmehrige Urteil wird zusätzlich der bisherige Konflikt in der österreichischen Rechtsprechung gegenüber Wrongful Birth aufgelöst. Das Bestehen einer Schadenersatzpflicht im Falle einer Wrongful Birth war im Gegensatz zur Wrongful Conception in Österreich nämlich bereits anerkannt. Voraussetzung einer Schadenersatzpflicht ist eine fehlerhaft durchgeführte pränatale Diagnostik oder eine sonst in pflichtwidriger Weise nicht erfolgte Abklärung des Arztes, aufgrund welcher die Behinderung eines Kindes nicht erkannte wurde. Wenn sich die Mutter aufgrund der mangelhaften Abklärungen des Arztes gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, da sie von einem nicht behinderten Kind ausgeht, folglich aber ein behindertes Kind zur Welt bringt, steht ihr ein Schadenersatzanspruch zu.

Auslöser für den gegenständlichen Entscheid des OGH war ein Fall, in dem ein Arzt eine schwere Behinderung eines ungeborenen Kindes nicht erkannt hatte, obwohl diese laut Urteil bereits mit einer einfachen Ultraschalluntersuchung im frühen Schwangerschaftsstadium hätte festgestellt werden können. Die Eltern des schwer behinderten Kindes argumentierten, dass sie das Kind abgetrieben hätten, wenn sie von der schweren Behinderung gewusst hätten und verlangten nun vom Arzt Schadenersatz für den Unterhalt des Kindes. Der Arzt wiederum stellt sich auf den Standpunkt, dass man in den Fällen von Wrongful Birth nicht anders entscheiden könne als in den Fällen der Wrongful Conception, weshalb er (dem damaligen Standpunkt des OGH in Bezug auf Wrongful Conception-Klagen entsprechend) auch für die Wrongful Birth-Klagen keinen Schadenersatz anerkannte.

Der OGH stimmte dem Arzt insoweit zu, als er eine Gleichstellung der beiden Fallgruppen Wrongful Birth und Wrongful Conception begrüsste. Allerdings sei bei ärztlichem Verschulden entgegen der Argumentation des Beklagten, in beiden Fällen und nicht in keinem der Beiden Schadenersatz zu leisten. Somit bejaht das österreichische Höchstgericht eine Schadenersatzpflicht neu auch in Wrongful Conception Fällen.

In der Lehre stößt die nunmehr vereinheitlichte Rechtsprechung auf Zustimmung, allerdings gibt es auch Stimmen, die im Falle einer Wrongful Birth eine Schadenersatzpflicht in der Höhe der aufgrund der Behinderung anfallenden Mehrkosten angemessener fänden, da die Eltern nicht per se kein Kind wollten.

 

Fazit

In der Schweiz ist die Rechtslage betreffend Klagen aus Wrongful Conception und Wrongful Birth unterschiedlich. Einen Schadenersatzanspruch der Mutter gegenüber dem fehlbaren Arzt aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft hat das Bundesgericht in BGE 132 III 359 erstmals bejaht. Der Arzt hatte eine vorgesehene Eileiterunterbindung nach einem Kaiserschritt schlicht vergessen. Die unwissende Mutter wurde darauf ungewollt schwanger und klagte erfolgreich auf Schadenersatz wegen ärztlicher Sorgfaltspflichtverletzung.

Hervorzuheben sind die Ausführungen des Bundesgerichts zur Frage des Schadens und der Schadensminderungspflicht der Eltern. In E. 4.2 wurde auf das Argument eingegangen, wonach es sich bei der durch die Eltern im Nachhinein akzeptierte bzw. nicht unterbrochene Schwangerschaft nicht um eine unfreiwillige Vermögensverminderung handeln könne. Mit der Eileiterunterbindung hätte eine weitere Schwangerschaft eben gerade vermieden werden sollen, weshalb die Unterhaltspflicht der Eltern als Folge des ungewollten, schadenstiftenden Ereignisses (vergessene Sterilisation) deshalb durchaus als ungewollt zu qualifizieren sei. Bezüglich der Frage einer allfälligen Schadensminderungspflicht der Eltern mittels Abtreibung oder Freigabe zur Adoption betonte das Bundesgericht in E. 4.3 zu Recht, dass nach herrschender Lehre und Rechtsprechung nur zumutbare Maßnahmen zur Schadensminderung in Frage kommen und es sich bei beiden genannten Optionen gerade nicht um zumutbare Maßnahmen handle.

Bezüglich der Wrongful Birth-Klage fehlt in der Schweiz bisher abschliessende höchstgerichtliche Rechtsprechung. 2014 hat das Bundesgericht einen Genugtuungsanspruch bejaht, nachdem die Mutter erfolgreich geltend gemacht hatte, dass sie nicht genügend über die Möglichkeiten pränataler Untersuchungen aufgeklärt worden sei. Allerdings hat das Bundesgericht die Schadenersatzklage auf Verdienstausfall als haltlos abgewiesen. Das Obergericht Bern hat in einem Entscheid vom 2. Mai 2011 einen Genugtuungsanspruch der Mutter gutgeheissen, nachdem ihre Ärztin zuvor pränatal diagnostische Untersuchungen unterlassen hatte, obwohl die Mutter bereits ein behindertes Kind hatte. Die Frage des Schadensersatzes blieb allerdings auch hier unbeantwortet, da die Mutter nur Genugtuung forderte.

Zurückkommend auf das österreichische Urteil ist es zu begrüssen, dass der OGH dadurch eine klare Rechtslage bezüglich der Wrongful Conception-Klage geschaffen hat. Weitere spannende Fragen stellen sich sowohl im Ausland wie auch in der Schweiz in Bezug auf die Wrongful Life-Klage des behinderten Kindes gegenüber dem fehlbaren Arzt. Bei der Wrongful Birth Klage bleibt offen, ob eine Schadenersatzpflicht nur in der Höhe, der durch die Behinderung des Kindes verursachten Mehrkosten, nicht adäquater wäre.

 

Nuria Chamizo Lopez

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Verfasserin wieder.