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Die deutsche Rechtsprechung (OLG Hamm, 28.02.2018, 11 U 108/17) hat sich zuletzt wieder einmal mit Haftungsfragen hinsichtlich Verletzungen befasst, die Passagiere in Zusammenhang mit dem Aussteigen aus einem Bus erleiden. Konkret lag dem Urteil folgender Sachverhalt zugrunde:
Ein Linienbus befand sich vor einem Ortseingang im Stau. Aufgrund der geringen Entfernung zur nächsten regulären Bushaltestelle (200 Meter) und des bereits mehrere Minuten anhaltenden Stillstandes wurden die Passagiere ungeduldig und drängten den Busfahrer dazu, die Türen ausserplanmässig zu öffnen. Der Busfahrer gab nach, damit die Passagiere zu Fuss an die nächste Haltestelle gehen konnten, um den Anschlussbus pünktlich zu erreichen. Eine 13-Jährige verliess den Bus ebenfalls vorzeitig. Als sie den neben dem Bus verlaufenden Mehrzweckstreifen betrat, wurde sie angefahren. Die am Steuer des Autos befindliche Lenkerin hatte zuerst hinter dem Bus gewartet, sich dann aber entschieden, auf den seitlichen Mehrzweckstreifen auszuweichen. Dabei hatte sie die Geschädigte übersehen.
Das Landgericht Arnsberg entschied erstinstanzlich, dass die Geschädigte zu 50% den Unfall selbstverschuldet hatte. Weiter urteilte es, dass sich die Versicherer des Busunternehmens und der Autofahrerin die Kosten hälftig teilen müssten. Der Versicherer des Busunternehmens bestritt ein unsorgfältiges Handeln und das daraus resultierende Verschulden des Busfahrers. Streitgegenstand vor dem Oberlandgericht Hamm bildete demnach die Verschuldensquote des Busfahrers resp. der Autofahrerin.
Der Busfahrer hatte während des Aussteigevorganges den Warnblinker nicht eingeschaltet. Er bestreitet das Nichteinschalten des Warnblinkers nicht, argumentiert aber, dass das Aussteigen auch ohne Warnblinker gefahrenlos war. Er begründet dies damit, dass er vor dem Öffnen der Türen mehrfach den Seitenstreifen durch den Aussenspiegel kontrolliert habe und davon ausgehen konnte, dass er frei war. Erst als die Türen bereits geöffnet waren, hatte er sein Funkgerät benutzt und deshalb das von hinten kommende Auto nicht gesehen. Zudem wurde vorgebracht, der Busfahrer habe nicht damit rechnen müssen, dass andere Autos aus der Kolonne auf dem Seitenstreifen vorbeifahren würden und deshalb wäre es auch nicht nötig gewesen, den Warnblinker zu setzen. Insgesamt waren der Busfahrer und sein Versicherer daher der Meinung, für den Unfall nicht hälftig einstehen zu müssen.
Die Autofahrerin resp. deren Versicherer begründen das hälftige Mitverschulden des Busfahrers mit dem ausserplanmässigen Halt ausserhalb einer sicheren Bushaltestelle sowie dem fehlenden Warnblinker. Beide Umstände hätten entscheidend zum Unfall beigetragen.
Die Berufung des Versicherers des Busunternehmens wurde abgewiesen. Somit müssen sich die Versicherer des Busunternehmens und der Autofahrerin die Kosten teilen. Der Entscheid wird damit begründet, dass der Busfahrer gegen eine Schutzpflicht verstossen hat, indem er die Türen öffnete, ohne die Warnblinkanlange einzuschalten. Zu diesem Vorgehen wäre er verpflichtet gewesen, weil er in dieser spezifischen Situation mit Fahrzeugen auf dem Seitenstreifen rechnen musste. Denn grundsätzlich waren Fahrzeuge und Fahrradfahrer berechtigt, diesen (etwa zum Halten) zu benutzen. Gerade in einer Stausituation sei davon auszugehen, dass vermehrt von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werde.
Einen vergleichbaren Fall hatte das schweizerische Bundesgericht in jüngerer Zeit – soweit ersichtlich – nicht zu beurteilen. Hinzuweisen ist aber auf den Entscheid 4A_479/2009 vom 23. Dezember 2009.
Kurz zusammengefasst wurde die Geschädigte im damaligen Fall beim Überqueren der Strassen, um den wartenden Bus zu erreichen, von einem Auto erfasst. Auch dort konnte der Autofahrer die Geschädigte aufgrund von äusseren Umständen erst unmittelbar vor dem Zusammenprall erkennen. Im Entscheid wurde eine Haftungsquote von 80% des Autofahrers bestätigt. Sie setzte sich aus 60% Betriebsgefahr des Fahrzeuges und weiteren 20% zusammen. Letztere rühren daher, dass die insgesamt verbleibenden 40% unter der Geschädigten und dem Autofahrer aufgeteilt wurden.
Das deutsche und das schweizerische Urteil haben gemeinsam, dass das Verschulden der Geschädigten und der Fahrzeugführer als jeweils gleich gross angesehen wurde. Im Urteil aus Deutschland wurde die Betriebsgefahr der Fahrzeuge ebenfalls berücksichtigt, wenngleich nicht im selben Umfang wie beim Urteil aus der Schweiz.
Nadja Stähli
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Meinung der Verfasserin wieder.