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Hintergrund
In seinem Entscheid vom 16. September 2021 hat sich der Oberste Gerichtshof Österreichs (OGH) zu unterschiedlichen Fragen im Produktehaftpflichtrecht geäussert und dabei Bezug auf seine bestehende Rechtsprechung genommen und diese in Nuancen konkretisiert.
Im dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt stürzte eine Skifahrerin während einer Abfahrt rückwärts. In der Folge machte sie geltend, die aus dem Sturz resultierenden Verletzungen seien auf das angeblich mangelbedingte Nichtöffnen der Skibindung zurückzuführen. Aus diesem Grund klagte sie die Produzentin des Skis und der Bindung auf Schadenersatz gestützt auf § 5 PHG (entspricht Art. 4 PrHG) ein und begehrte zudem die Feststellung von deren Haftung für zukünftige Schäden. Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht wiesen die Klage ab, weshalb die Klägerin mit ausserordentlicher Revision an den OGH gelangte.
Der OGH nimmt vorab Bezug auf die etablierte Rechtsprechung, die bei Mängeln i.S.v. § 5 Abs. 1 PHG zwischen Konstruktions-, Produktions- und Instruktionsfehlern differenziert. Ein Konstruktionsfehler liege demnach vor, wenn die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept des Produkts begründet ist. Demgegenüber handle es sich um einen Produktions- oder Fabrikationsfehler, wenn zwar das technische Konzept als solches den Sicherheitserwartungen entspricht, nicht aber ein konkretes Einzelprodukt, weil etwa die Produktion fehlerhaft war. Der Instruktionsfehler unterscheide sich dadurch von den erstgenannten Kategorien, dass nicht das Produkt an sich, sondern die Präsentation unzureichend und somit fehlerhaft sei. Ausserdem sei bei allen drei Kategorien in jedem Fall eine Einzelfallbeurteilung erforderlich, die sich an den berechtigten Sicherheitserwartungen eines imaginären Durchschnittsbenützers zu messen habe.
Die von der Klägerin als mangelhaft bezeichneten Skibindungen wurden von den Vorinstanzen als mit den geltenden Normen und den technischen Sicherheitsstandards im Einklang stehend qualifiziert. So seien nicht nur die Konstruktion des Bindungstyps, sondern auch die von der Klägerin erworbenen Skibindungen hinsichtlich ihres Auslöseverhaltens nicht zu beanstanden. Der OGH geht in seiner Rechtsprechung regelmässig davon aus, dass unter solchen Umständen die Fehlerfreiheit eines Produkts indiziert sei (RIS-Justiz RS0110464). Damit entkräftet er das Vorbringen der Klägerin, die Skibindung sei deshalb mangelhaft, weil sie sich nicht in jeder vorstellbaren Sturzsituation öffne. Es entspreche gerade nicht dem Stand der Technik, dass Skibindungen auch bei Rückwärtsstürzen aufgehen, dies sei technisch derzeit gar unmöglich. Ein durchschnittlicher Produktbenützer dürfe folglich keine dahingehenden Sicherheitserwartungen hegen (vgl. RIS-Justiz RS0071536).
Schliesslich verneinte der OGH auch das Vorliegen eines Instruktionsfehlers. Einerseits war aktenkundig, dass an der Bindung ein „Allgemeiner Warnhinweis“ angebracht war, der darauf hinwies, dass die Skibindung sich nicht in allen Situationen öffnet, in denen Verletzungs- oder Todesgefahr besteht. Andererseits habe die Klägerin ihr Wissen um dieses Risiko sogar konkludent kundgetan, indem sie ihre Skibindung von einem Sportgeschäftmitarbeiter auf die Einstellung „Skifahrertyp 3“ einstellen liess. Ihr sei also bewusst gewesen, dass Skibindungen unterschiedlich eingestellt werden können, sodass sie entweder leichter oder schwerer auslösen. Dies sei im Übrigen auch jedem durchschnittlichen Skifahrer klar, auf subjektive Erwartungen komme es ohnehin nicht an.
Somit habe die Klägerin also weder das Vorliegen eines Produktefehlers noch einen Kausalzusammenhang zwischen Produktefehler und dem entstandenen Schaden rechtsgenüglich beweisen können, weshalb der OGH die Revision abwies.
Fazit
Der vorliegende Sachverhalt gab dem OGH die Möglichkeit zur systematischen Abhandlung und Festigung der Rechtsprechung zu den unterschiedlichen Produktefehlerkategorien. Er hob dabei insbesondere die Massgeblichkeit der Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Produktebenützers und nicht etwa derjenigen einer konkreten Einzelperson hervor. Die Ausführungen zum Wissen der konkreten Klägerin sind also – strenggenommen – überflüssig und nicht zielführend, auch wenn der OGH damit versucht, ihrem Anspruch im Sinne eines Eventualiters einen weiteren Riegel vorzuschieben. Das Abstellen auf den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zur Konkretisierung der Sicherheitserwartungen eines Durchschnittsdritten erscheint demgegenüber zweckmässig und verbraucherfreundlich.
Yves Loher
Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.