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Elena, warum hast du dich für ein Doktoratsstudium entschieden?
Erste Ideen und Ansätze für mein späteres Dissertationsprojekt entstanden während meiner Tätigkeit als Hilfsassistentin am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht meiner späteren Betreuerin Sarah Summers. Bereits während dieser Zeit wurde mir klar, dass ich mich nach Abschluss meines Studiums vertieft mit einem eigenen Forschungsprojekt befassen wollte. Das Doktoratsstudium bot mir den idealen Rahmen dafür.
Worum geht es inhaltlich in deiner Dissertation? Welche Hauptargumente hast du in deiner Arbeit entwickelt oder vertreten? Gib uns bitte einen kurzen Einblick.
In meiner Dissertation untersuche ich die Verwertbarkeit verdachtsbegründender Informationen im Strafverfahren am Beispiel der Fernmeldeüberwachung. Strafprozessuale Zwangsmassnahmen sind verdachtsgesteuert anzuordnen und setzen einen Tatverdacht voraus. Präventive oder repressive Überwachungsmassnahmen können indessen Informationen zutage fördern, welche einen zuvor so nicht bestehenden Tatverdacht erst begründen. So können sich etwa aus einer nachrichtendienstlichen Fernmeldeüberwachung Hinweise auf eine Straftat ergeben und beim Antennensuchlauf im Rahmen einer Rasterfahndung wird ein personenbezogener Tatverdacht erst über die Massnahme selbst begründet. Hier stellt sich die Frage, welche rechtlichen Anforderungen an die Verwertbarkeit solcher Informationen im Strafverfahren zu stellen sind.
In Bezug auf präventiv-polizeiliche oder nachrichtendienstliche Überwachungsmassnahmen gilt es zudem zu beachten, dass diese gerade nicht zum Zwecke der Strafverfolgung angeordnet werden. Entsprechend bedarf es der Klärung, unter welchen Voraussetzungen Informationen im Strafverfahren verwendet werden dürfen, die ursprünglich zu einem anderen als dem späteren Verwendungszweck erhoben wurden.
Ein wesentlicher Teil meiner Untersuchung betrifft daher die zweckändernde Verwendung von Informationen im Strafverfahren. Ich zeige auf, dass sich aus dem verfassungsrechtlichen Datenschutz Anforderungen an den Gesetzgeber zur rechtlichen Ausgestaltung von Informationsverarbeitungsvorgängen im Zusammenhang mit der Bearbeitung personenbezogener Daten ergeben. Als Ergebnis schlage ich ein Verwertbarkeitskonzept für verdachtsbegründende Informationen im Strafverfahren vor. Dabei vertrete ich die Auffassung, dass Zweckumwidmungsnormen bei der zweckändernden Verwendung von Informationen eine Grundvoraussetzung der Verwertbarkeit darstellen.
Wie bist du deine Dissertation in Bezug auf die Recherche angegangen?
Zuerst habe ich meinen Forschungsgegenstand eingegrenzt. Danach habe ich ein umfassendes Literatur- und Rechtsprechungsstudium betrieben. Dabei hat sich auch meine Forschungsfrage immer mehr herauskristallisiert. Meine Recherchearbeit hat sich jedoch selbstredend nicht in dieser ersten Sondierung relevanter Literatur erschöpft, sondern durchzog den gesamten Dissertationsprozess. Auch erschienen in den Jahren des Doktorats neue Literaturbeiträge und Rechtsprechung, die es zu berücksichtigen galt. Für meine Forschung hat sich zudem als zentral erwiesen, rechtswissenschaftliche Beiträge aus Deutschland sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in meine Untersuchung einzubeziehen.
Was willst du mit deiner Dissertation erreichen respektive dem Leser mitgeben?
Ich möchte anhand einer exemplarischen Untersuchung ausgewählter Fallkonstellationen Denkanstösse dazu geben, die Frage der Verwertbarkeit von Informationen im Strafverfahren über die strafprozessualen Verwertungsverbote hinaus in erster Linie aus verfassungsrechtlicher Perspektive anzugehen. Denn gerade im heutigen Zeitalter der Digitalisierung akzentuieren sich Verwertbarkeitsfragen angesichts der weitreichenden Möglichkeiten der umfassenden und zunehmend automatisiert stattfindenden Informationsbeschaffung und -Verarbeitung neu. Ich denke da etwa an den Einsatz automatisierter Gesichtserkennungstechnologien oder der automatisierten Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV), die insbesondere in jüngster Zeit in den Fokus gerückt sind. Hier stellt sich nicht nur die Frage, ob die entsprechenden Informationen rechtmässig erhoben wurden, sondern insbesondere, ob diese Informationen auch zu einem anderen als dem ursprünglichen Erhebungszweck verwendet werden dürfen. Diese Fragen lassen sich nicht einzig mit Blick auf die heute bestehenden strafprozessualen Regeln beantworten, sondern bedürfen einer übergeordneten Betrachtung aus verfassungs- und konventionsrechtlicher Perspektive. Dafür möchte ich die Leserschaft sensibilisieren.
Was hat sich beim Verfassen der Dissertation als besonders hilfreich erwiesen?
Das Verfassen einer Dissertation ist kein linearer, sondern ein laufender Prozess, der von verschiedenen Phasen geprägt ist und viel Ausdauer erfordert. Da zwischen dem Verfassen der einzelnen Kapitel nicht selten eine gewisse Zeit vergeht, hat es sich bei mir bewährt, immer wieder auf bereits geschriebene Passagen zurückzukommen und diese mit etwas zeitlicher Distanz und vor dem Hintergrund der untersuchten Forschungsfrage nochmals kritisch zu überdenken und nötigenfalls zu überarbeiten.
Besonders wertvoll und wichtig erwies sich für mich auch der fachliche Diskurs. Als Mitarbeiterin am Lehrstuhl hatte ich die Gelegenheit, mich mit meiner Betreuerin Sarah Summers sowie mit Fachkolleginnen und Fachkollegen regelmässig auszutauschen. Zudem habe ich im Rahmen des Doktoratsstudiums an zwei Doktorandenkolloquien teilgenommen und hatte dort die Möglichkeit, meine Untersuchung vor einem kleineren Publikum zu präsentieren und auf den Prüfstand zu stellen. Aus den anschliessenden Diskussionen konnte ich wertvolles Feedback mitnehmen.
Welche Ratschläge würdest du gerne aktuellen oder zukünftigen Doktorierenden mit auf den Weg geben?
Ich empfehle, möglichst früh eine konkrete Forschungsfrage festzulegen und die Thematik, mit der man sich befassen möchte, klar einzugrenzen. Ansonsten läuft man Gefahr, sich in Einzelheiten zu verlieren, die nichts – oder nur noch im weitesten Sinne – mit der eigentlichen Forschungsfrage zu tun haben.
Wie sah die Zeit nach dem Doktorat bei dir aus?
Seit Abschluss meines Doktorats bin ich als Substitutin in einer Anwaltskanzlei in Zürich tätig und bereite ich mich auf die Anwaltsprüfung vor.
Inwiefern hast du davon profitiert, zuerst das Doktorat abzuschliessen und dann die Anwaltsprüfung abzulegen?
Für mich hat sich die Entscheidung, zuerst meine Dissertation zu verfassen und danach mein Substitutenjahr zu absolvieren, sehr bewährt. Das Verfassen einer Dissertation hat mich auch losgelöst vom konkreten Forschungsgegenstand darin geschult, Sachverhalte und Themenkomplexe strukturiert anzugehen, ausgehend vom bereits bestehenden Meinungsspektrum und der Rechtsprechung eine eigene Argumentation und eigene Lösungsansätze zu entwickeln und diese vor einem Publikum zu verteidigen.